Wie bereits zum Beschluss vom 16.11.2018 angemerkt wurde, hatte die Disziplinarkammer bei dem Kirchengericht der EKD dort in „Überbesetzung“ (drei Richter/innen statt eines Richters/einer Richterin) entschieden. Damit war aus Sicht des Beklagten über die Befangenheit des ursprünglichen Vorsitzenden nicht ordnungsgemäß entschieden und das Gericht im Vorsitz nicht ordnungsgemäß besetzt. Hiergegen erhob er eine Besetzungsrüge.
Daneben machte er auch die Besorgnis der Befangenheit gegen die weiteren Mitglieder der Disziplinarkammer geltend, weil sich diese mit dem „überbesetzten“ Beschluss Entscheidungsbefugnisse angemaßt hatten, die ausdrücklich dem Wortlaut des kirchlichen Disziplinargesetzes widersprachen.
Im Verlauf des weiteren Verfahrens traten sowohl die stellvertretende Vorsitzende wie auch das weitere rechtskundige Mitglied zurück. Nunmehr erging die Entscheidung in der Sache hinsichtlich des weiteren Mitglieds der Disziplinarkammer.
Das Ablehnungsgesuch wurde als unbegründet zurückgewiesen.
Dabei lässt der neue Beschluss nun aber weitere (neue) Rechtsfragen offen:
- liegt hier tatsächlich ein Fall vor, in dem eine Prozesspartei ihren Anspruch auf den kirchengesetzlichen Richter verwirkt haben soll?
- ist der Anspruch auf den kirchengesetzlichen Richter von der Frage abhängig, ob die Partei „beschwert“ im Rechtssinne ist?
- ist gegen den vorliegenden Beschluss tatsächlich – wie ausgeführt – die sofortige Beschwerde zum Disziplinarsenat bei dem Kirchengerichtshof der EKD zulässig? Soweit ersichtlich liegt hierzu keine kirchengerichtliche Rechtsprechung vor. Es bleibt daher abzuwarten, ob das vorliegende Verfahren zu einer entsprechenden Klärung führen wird.
Der Beschluss lautet im Volltext:
Das Ablehnungsgesuch und die Besetzungsrüge des Beklagten gegen die stellvertretende Vorsitzende Richterin Dr. G. wird für erledigt erklärt.
Das Ablehnungsgesuch gegen das rechtskundige Mitglied P. wird für erledigt erklärt.
Das Ablehnungsgesuch gegen das ordinierte Mitglied K. ist zulässig, jedoch unbegründet.
G r ü n d e:
I. Mit der Disziplinarklage vom 23. August 2018 beantragte die Klägerin, den Beklagten gem. § 16 Abs. 1 DG.EKD unter Enthebung von seinem Amt in den Ruhestand zu versetzen. Die Klägerin legt dem Beklagten zur Last, gegen seine Amtspflichten aus § 44 Abs. 1 PfDG.EKD i.V.m. § 24 Abs. 3 und § 3 Abs. 2 PfDG.EKD verstoßen zu haben.
Der in dieser Sache zuständige Vorsitzende Richter der Disziplinarkammer bei dem Kirchengericht der EKD, Oberstaatsanwalt a. D. W., erklärte mit dienstlicher Äußerung vom 13. September 2018 seine Selbstablehnung. Die Klägerin bezeichnete das Selbstablehnungsgesuch für nachvollziehbar (Schreiben vom 10. Oktober 2018). Der Beklagte stellte fest, dass keine Bedenken bestünden (Schreiben vom 9. Oktober 2018). Die Disziplinarkammer erklärte mit Beschluss vom 16. November 2018 das Selbstablehnungsgesuch für begründet. Bei der Beschlussfassung wirkten die 1. stellvertretende Vorsitzende Richterin Dr. G., das rechtskundige Mitglied P. sowie das ordinierte Mitglied K. mit.
Am 20. Mai 2019 lud die stellvertretende Vorsitzende Richterin der Disziplinarkammer, Dr. G. zur mündlichen Verhandlung am 16. Oktober 2019. Gemäß § 57 Abs. 2 DG.EKD gab sie die Besetzung der Disziplinarkammer bekannt:
• Stellvertretende Vorsitzende Richterin: Vorsitzende Richterin am Landgericht Dr. G.
• Rechtskundige Richterin: Direktorin am Amtsgericht a.D. P.
• Ordinierter Richter: Superintendent K..Mit Schreiben vom 5. Juni 2019 erklärte der Beklagte gem. § 7 Abs. 1 DG.EKD i.V.m. § 54 Abs. 1 VwGO i.V.m. §§ 44, 42 ZPO Besetzungsrüge und Besorgnis der Befangenheit gegenüber der stellvertretenden Vorsitzenden Richterin, Dr. G. Er erklärte außerdem die Besorgnis der Befangenheit gegenüber dem rechtskundigen Mitglied P. und dem ordinierten Richter K..
Mit Schreiben vom 13. August 2019 legte Frau Dr. G., 1. Stellvertreterin des Vorsitzenden Richters der Disziplinarkammer bei dem Kirchengericht der Evangelischen Kirche in Deutschland, ihr Amt nieder.
Mit Schreiben vom 19. August 2019 forderte die 1. Stellvertreterin des rechtskundigen Mitgliedes der Disziplinarkammer die am Beschluss beteiligten Richter um dienstliche Äußerung zu den Anträgen des Beklagten auf.
Frau Dr. G. verzichtet auf Grund der Amtsniederlegung auf eine Stellungnahme.
Mit dienstlicher Äußerung vom 4. September 2019 erklärte das rechtskundige Mitglied, Frau P., sich für nicht befangen.
Mit dienstlicher Äußerung vom 16. September 2019 erklärte sich das ordinierte Mitglied, K., für nicht befangen.
Die Klägerin beantragt mit Schriftsatz vom 5. September 2019 die Zurückweisung der Befangenheitsanträge und verweist auf das Schreiben des Rechtsanwalts des Beklagten, in dem dieser die Übertragung des Verfahrens auf die 1. Stellvertreterin für begründet hält.
Mit Schreiben vom 9. Oktober 2019, Eingang am 11. Oktober 2019, legte Frau P., rechtskundiges Mitglied der Disziplinarkammer bei dem Kirchengericht der Evangelischen Kirche in Deutschland, ihr Amt nieder.
II. Das erste stellvertretende Mitglied des rechtskundigen Mitglieds ist für die Entscheidung zuständig.
Durch den bestätigenden Beschluss der Selbstablehnung des Vorsitzenden Richters, W., und die Amtsniederlegung der 1. Stellvertreterin des Vorsitzenden, Dr. G., ist das vorsitzende Mitglied in dem laufenden Verfahren verhindert, § 50 Abs. 2 Satz 2 DG.EKD. Worauf hier unerheblich ist, ob die 1. Stellvertretende Vorsitzende zu Recht an dem Beschluss über die Selbstablehnung mitgewirkt hat. Damit wird das (beisitzende) rechtskundige Mitglied in dem laufenden Verfahren Vorsitzende. Dieses wird durch sein stellvertretendes Mitglied nach § 50 Abs. 2 Satz 1 DG.EKD vertreten, § 50 Abs. 2 Satz 3 DG.EKD.
Durch die Amtsniederlegung des den Vorsitz innehabenden rechtskundigen Mitgliedes P., wird in Anwendung von § 50 Abs. 1 bis 3 DG.EKD das stellvertretende rechtskundige Mitglied Vorsitzende in diesem laufenden Verfahren. Diese wird durch ihr stellvertretendes Mitglied nach § 50 Abs. 2 Satz 1 DG.EKD vertreten, § 50 Abs. 2 Satz 3 DG.EKD.
Gemäß § 7 Abs. 1 DG.EKD i.V.m. § 54 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 45 Abs. 1 ZPO entscheidet über die Anträge das Gericht, dem die abgelehnten Richter angehören.
Die Entscheidung über die Ablehnungsgesuche ergeht durch Beschluss gem. § 7 Abs. 1 DG.EKD i.V.m. § 54 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 46 Abs. 1 ZPO. Die Rüge zur nicht geschäftsplanmäßigen Besetzung ist entsprechend § 7 Abs. 1 DG.EKD i.V.m. § 54 Abs. 1 VwGO i.V.m. §§ 42, 48 ZPO zu behandeln und ergeht ebenfalls durch Beschluss.
Gemäß § 54 Abs 1 Satz 2 DG.EKD wirken die beisitzenden Mitglieder an Beschlüssen außerhalb der mündlichen Verhandlung und an Gerichtsbescheiden nicht mit. Das den Vorsitz innehabende Mitglied entscheidet alleine.
1. Besetzungsrüge und Ablehnungsgesuch gegen das 1. stellvertretende vorsitzende Mitglied, Dr. G., waren gem. § 7 Abs. 1 DG.EKD i.V.m. § 54 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 42 Abs. 1 und 3 ZPO zulässig, sind jedoch durch Amtsniederlegung erledigt.
2. Das Ablehnungsgesuch gegen das rechtskundige Mitglied P. war gem. § 7 Abs. 1 DG.EKD i.V.m. § 54 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 42 Abs. 1 und 3 ZPO zulässig, hat sich jedoch durch Amtsniederlegung ebenfalls erledigt.
3. Das Ablehnungsgesuch gegen das ordinierte Mitglied K. ist gem. § 7 Abs. 1 DG.EKD i.V.m. § 54 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 42 Abs. 1 und 3 ZPO zulässig, jedoch unbegründet.
Das Ablehnungsgesuch wegen Besorgnis der Befangenheit ist nicht begründet, da kein Grund im Sinne von § 7 Abs. 1 DG.EKD i.V.m. § 54 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 42 Abs. 2 ZPO vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit dieses Richters zu rechtfertigen. Dies wäre dann der Fall, wenn der Beklage bei verständiger Würdigung des Sachverhalts Grund zu der Annahme hat, dass der abgelehnte Richter ihm gegenüber eine Haltung einnimmt, die seine Unparteilichkeit und Unvoreingenommenheit störend beeinflussen kann.
Maßgeblich ist, ob aus der Sicht der ablehnenden Partei bei vernünftiger Würdigung aller Umstände Anlass gegeben ist, an der Unvoreingenommenheit und objektiven Einstellung des Richters zu zweifeln.
Der Beklagte trägt vor, der ordinierte Richter K. habe an der Beschlussfassung über die Selbstablehnung des Vorsitzenden Richters W. vom 16. November 2018 mitgewirkt. Damit habe er eine Beratungs- und Entscheidungskompetenz für sich in Anspruch genommen, die das kirchliche Recht nicht vorsieht. Gerade in einem ehrenamtlich besetzten Gericht sei er, der Beklagte, darauf angewiesen, dass alle Mitglieder der Disziplinarkammer über die kirchengesetzlichen Bestimmungen informiert und über ihre Entscheidungskompetenzen im Klaren seien. Der ordinierte Richter könne damit in seiner Person nicht mehr sicherstellen, dass die Entscheidung über die Disziplinarklage ausschließlich auf Grundlage der kirchengesetzlichen Bestimmungen getroffen werde. Somit bestünde die Besorgnis der Befangenheit.
Unrichtige Entscheidungen oder vermeintlich unrichtige Entscheidungen sind grundsätzlich ungeeignet, die Ablehnung wegen Befangenheit zu rechtfertigen, denn sie zwingen nicht zu dem Schluss, dass der Richter, der sich im Rahmen seiner Befugnisse hält und das Recht in vertretbarer Weise anwendet, gegenüber einer Partei unsachlich, parteilich eingestellt ist. Das Ablehnungsverfahren darf nicht dazu dienen, richterliche Entscheidungen auf ihre Richtigkeit zu überprüfen. Erscheint die Rechtsanwendung des Richters vertretbar, so scheidet Ablehnung aus, falls nicht weitere Umstände auf eine parteiliche Einstellung schließen lassen.
Die Entscheidung über das Selbstablehnungsgesuch erging durch Beschluss gem. § 7 Abs. 1 DG.EKD i.V.m. § 54 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 46 Abs. 1 ZPO. Gem. § 54 Abs. 1 Satz 2 DG.EKD wirken die beisitzenden Mitglieder an Beschlüssen außerhalb der mündlichen Verhandlung und an Gerichtsbescheiden nicht mit. Das vorsitzende Mitglied entscheidet alleine. Die Beschlussfassung über die Selbstablehnung erfolgte jedoch durch die Kammer, bei der die erste stellvertretende Vorsitzende mitwirkte, die gem. § 50 Abs. 2 Sätze 1 bis 3 DG.EKD nicht zuständig gewesen wäre.
Aus der nicht geschäftsmäßigen Besetzung und der „Überbesetzung“ ist dem Beklagten jedoch kein Nachteil entstanden, da der Selbstablehnung stattgegeben wurde und dieser Beschluss dem Willen des Beklagten entsprach, denn dieser teilte mit, dass gegen die Selbstablehnung keine Bedenken bestünden und er die Übertragung des Verfahrens auf die 1. Stellvertreterin für begründet hält (Schreiben vom 9. Oktober 2018). Insoweit besteht durch den Beschluss keine Beschwer des Beklagten. Es wäre rechtsmissbräuchlich nach Zustimmung zur Selbstablehnung und Einverständniserklärung mit der Verfahrensbeteiligung der 1. Stellvertreterin des Vorsitzenden, heute aus der unrichtigen geschäftsmäßigen Besetzung eine Aufhebung des Beschlusses zu fordern.
Aus der Tatsache der unrichtigen geschäftsmäßigen bzw. übermäßigen Besetzung bei der Beschlussfassung kann hier keine Besorgnis der Befangenheit hergeleitet werden. Die materiellrechtlich vom Beklagten gewollte Entscheidung wurde auch und gerade unter Mitwirkung des ordinierten Mitglieds gefasst. Damit bringt er zum Ausdruck, dem Antrag des Beklagten nachzukommen. Das ordinierte Mitglied zeigt, dass er das Recht in vertretbarer Weise anwendet und gegenüber dem Beklagten weder unsachlich noch parteilich eingestellt ist. Die Rechtsanwendung des ordinierten Richters ist nicht nur vertretbar, sondern entspricht dem Willen des Beklagten.
Eine Ablehnung scheidet aus, da keine weiteren Umstände, die auf eine parteiliche Einstellung schließen lassen, vom Beklagten vorgetragen werden. Soweit der Beklagte Zweifel äußert, das ordinierte Mitglied sei über die kirchengesetzlichen Bestimmungen nicht informiert und er sei sich über die Entscheidungskompetenzen nicht im Klaren, woraus ihm, dem Beklagten, ein Nachteil entstünde, fehlt es an einem substanziellen Vortrag. Die vorgetragenen Gründe rechtfertigen gerade nicht eine Unparteilichkeit oder Voreingenommenheit. Es liegen auch keine Hinweise vor, die willkürliches Handeln erkennen ließen oder grob fehlerhaft wären.
III. Gegen den Beschluss ist die sofortige Beschwerde zulässig, § 7 Abs.1 DG.EKD, § 54 Abs.1 VwGO, § 46 Abs. 2 ZPO.
IV. Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst.